Hochwasserkatastrophe in Bayern - nach der Flut ist vor der Flut
Email an die Bayerische Staatsregierung vom 24.07.2021
Sehr geehrter Herr Dr. Söder,
sehr geehrte Frau Schreyer,
sehr geehrter Herr Glauber,
wie ganz Deutschland haben auch wir mit Schrecken die Katastrophenbilder der letzten Tage verfolgt. Von den aktuellen Ereignissen sind wir zwar nicht unmittelbar betroffen, jedoch wissen wir sehr genau, was es heißt, wenn die eigene Heimat in den Fluten versinkt. 2013 war es Rosenheim und insb. der Stadtteil Oberwöhr, der von dem verheerenden Hochwasser betroffen war. Nach der Flutkatastrophe musste das ganze Viertel renoviert werden. Lt. Aussage des Wasserwirtschaftsamts Rosenheims entstanden an der Mangfall in Rosenheim und Kolbermoor insg. Schäden in Höhe von 200 Mio. Euro. Da Oberwöhr als nicht mehr versicherbar galt, konnte das Viertel nur durch staatliche Hilfen, große Spenden- und Hilfsbereitschaft und sehr viel Eigenleistung wieder aufgebaut werden.
Oberwöhr liegt denkbar ungünstig in einer Senke zwischen den Flüssen Mangfall und Kalten und hat zudem ein massives Grundwasserproblem. 2013 war die Hochwassersituation aufgrund des steigenden Grundwasserpegels bereits prekär, bevor die Lage durch den Dammbruch in Kolbermoor endgültig außer Kontrolle geriet. Umso entsetzter waren wir als im vergangenen Jahr durchsickerte, dass die Stadt Rosenheim mit dem Bebauungsplan Nr. 194 „Krainstraße Nordwest“ eine letzte mögliche Flutmulde mit 16 Hochhäusern mit über 160 Wohneinheiten an der – lt. Aussage des Wasserwirtschaftsamts gefährlichsten Kurve der ganzen Mangfall - bebauen möchte. Das Baukonzept sieht zudem zahlreiche Tiefgaragen, die die Grundwassersituation verschärfen, sowie eine Aufschüttung des neu zu bebauenden Areals über die bestehende Siedlung vor.
Seit diese Pläne - mehr durch Zufall - bekannt wurden, versuchen sich die Oberwöhrer gegen das Vorhaben zu wehren. Zu dem Bebauungsplan gingen über 300 Stellungnahmen ein, indem die Bürger neben den Hochwasserängsten auch weitere Bedenken insb. bzgl. der Infrastruktur (insb. Kitas, Kindergärten, Schulen und Straßenverkehr) äußerten. Zudem wurde eine Bürgerinitiative gegründet, deren Mitglieder (mittlerweile über 400) das Gespräch mit der Stadt Rosenheim sowie dem Investor suchten. Jedoch ohne Erfolg. Die Stellungnahmen der Bürger wurden direkt an den Investor weitergeleitet. Gutachten, die sich mit den speziellen Verhältnissen vor Ort auseinandersetzen, wurden ebenfalls vom Investor und nicht von der Stadtverwaltung in Auftrag gegeben und lassen wesentliche Punkte außen vor. Dass man die letzte Möglichkeit verschenkt, oder besser verkauft, den Hochwasserschutz substanziell zu verbessern wird genauso ignoriert, wie die Tatsache, dass sich bereits 2013 gezeigt hat, dass auch die „besten“ Gutachten nichts nutzen, wenn sie sich am Ende als haltlos erweisen. Eine Infoveranstaltung zu dem Bebauungsplan in der vorletzten Woche hat zudem mehr Fragen offen gelassen als beantwortet. Viele schöne Worte wurden gefunden, aber keine handfesten Lösungsvorschläge.
Uns ist bewusst, dass dies ein lokalpolitisches Thema ist. Angesichts der Aktualität der Thematik, fragen wir uns jedoch, wie viele Katastrophen es noch bedarf, bis auch in der Kommunalpolitik ein Bewusstseinswandel einsetzt. Es ist unbestritten, dass die Stadt Rosenheim – wie viele andere Teile Bayerns – ein akutes Wohnraumproblem hat. Wir als junge Rosenheimer spüren dies jeden Tag und haben Angst, dass wir uns unsere Heimat selbst mit guten Gehältern bald nicht mehr leisten können. Aber dies wird durch das geplante Bauvorhaben nicht gelöst. Von dem Bauvorhaben profitieren nicht junge Rosenheimer Familien, wie es von der Stadt gerne proklamiert wird. Ein Großteil des Wohnraums wird am freien Markt verkauft, und Marktpreise können sich junge Rosenheimer Familien ohne ein größeres Erbe schon lange nicht mehr leisten. Auch die Wohnungen, die die Stadt behält, werden nicht nach sozialen, sondern nach „noch festzulegenden“ Kriterien vergeben. Den Interessen einiger weniger Investoren wird eine bestehende Siedlung sowie das Hab und Gut von Menschen, die bereits ihr ganzes Leben in Oberwöhr verbracht haben, geopfert. Finanzielle Begehrlichkeiten dominieren über jeglichen gesunden Menschenverstand.
Wir können und wollen diese Entscheidung der Stadt Rosenheim nicht verstehen und fragen uns, was sie angesichts der sich häufenden Flutkatastrophen und der Nichtversicherbarkeit von Gebäuden gegen Hochwasser in diesem Gebiet für uns bedeutet. In diesem Sinne begrüßen wir auch die Forderungen von MP Dr. Söder bspw. nach einer Prüfung der Hochwasserrisiken in Bayerns Gemeinden durch eine unabhängige Stelle und nach einer verstärkten Beachtung kleinerer Gewässer beim Hochwasserschutz. Wir hoffen, dass es angesichts der erheblichen Gefahren, die der Klimawandel mit sich bringt, nicht bei reiner Symbolpolitik bleibt. Aber angesichts der Entscheidungen die auf kommunaler Ebene in just diesen Wochen getroffen werden, haben wir wenig Hoffnung und noch weniger Vertrauen.
Mit freundlichen Grüßen
Theresa Moritzer und Florian Hofmann